Der Wolf. Früher müssen wir die Tiere einst bewundert haben, doch dann begannen wir sie in großen Teilen ihres Lebensraums zu verfolgen. Auch in Deutschland haben wir sie verfolgt und sogar ausgerottet.
Seit nun mehr als 20 Jahren sind die Wölfe wieder zurück in Deutschland. Aktuell leben rund 128 Rudel vor allem im Nordosten Deutschlands. Nicht jeder ist darüber erfreut. Eltern haben Angst um ihre Kinder, Landwirte um ihre Nutztiere, Jäger um ihr Wild.
Immer wieder wird von den Gefahren in den Medien berichtet, die die Wölfe für uns Menschen bedeuten. Mich selbst hat das sehr beschäftigt. Ich bin bis dahin noch nie einem Wolf in freier Wildbahn begegnet, doch das sollte sich bald ändern. Ich beschloss 2018 nach British Kolumbien an die Westküste Kanadas zu reisen, um die kaum bekannten und doch legendären Küstenwölfe zu suchen, um für mich selbst heraus zu finden, ob eine Gefahr von den Tieren für uns Menschen ausgeht. Bis zu 90 Prozent der Nahrung der Küstenwölfe kommt vom Ozean. Sie fressen Fisch, Seepocken, Muscheln, Robben, Seelöwen und sogar gestrandete Walkadaver. Ab und zu steht aber auch ein Hirsch auf dem Speiseplan. Diese Wölfe stehen quasi mit zwei Pfoten an Land und mit zwei Pfoten im Wasser.
BILD OBEN: Ein Küstenwolf schläft am Strand zwischen dem vielen Schwemmholz. Durch seine Farbe verschwindet er fast völlig zwischen dem Holz. | © Niklas Weber
Great Bear Rainforest
Ich entschloss mich in ein ganz besonderes Gebiet zu reisen, es nennt sich der „Great Bear Rainforest“. Er ist Teil des größten zusammenhängenden gemäßigten Küstenregenwalds dieser Erde und beherbergt Bäume, die über tausend Jahre alt sind. Der Great Bear Rainforest ist über 400 Kilometer lang und steht noch immer unter dem Schutz der Ureinwohner, die ihn seit über 14.000 Jahren beschützen. Das Gebiet besteht aus tausenden kleinen Inseln, hunderten Fjorden und unzähligen Flüssen. Straßen gibt es hier nicht, zumindest nicht an Land. Um hier unterwegs zu sein bedarf es eines Bootes. Somit kaufte ich mir ein kleines Schlauchboot mit Außenbordmotor. Dieses verschaffte mir exklusiven Zugang zu diesem riesigen Gebiet.
Wochenlang suchte ich die Küste ab nach den Küstenwölfen, ohne ein Anzeichen, dass sie wirklich existieren. Während meiner Suche begegnete ich ein paar der majestätischsten und größten Tiere die dieser Planet zu bieten hat: Schwertwale, Buckelwale, Schwarzbären, Steller Seelöwen, Weißkopfseeadler, Nordamerikanische Fischotter und viele mehr. Für einen Naturfilmer und Fotografen wie mich ein wahres Paradies. Ich durfte unglaubliche Momente mit diesen Wildtieren erleben und schaffte es dieses Ökosystem sehr umfangreich zu dokumentieren.
BILD LINKS: Ein großer Steller Seelöwe schleudert einen Lachs durch die Luft um diesen auszuknocken. | © Niklas Weber
BILD RECHTS: Zwei junge Schwarzbären überqueren einen Fluss mit Hilfe von einem der vielen umgefallenen Bäumen. Einer trug ein Stück Lachs, das seine Mutter zuvor gefangen hatte. | © Niklas Weber
Bedrohungen für das Ökosystem
Neben diesen unglaublichen Tieren und den herzlichen Ureinwohnern die mich, über die Zeit die ich mit ihnen verbringen durfte, viel über ihr Land lehrten. Leider musste ich auch entdecken, dass dieses Paradies in großer Gefahr ist. Angefangen von der Abholzung der gemäßigten Regenwälder, das Bauen von Fischfarmen und Pipelines, das kommerzielle Befischen der Heringe im Frühjahr sowie die Trophäen-Jagd sind Dinge, die dieses Paradies bedrohen. Gerade die massive Abholzung der gemäßigten Regenwälder musste ich mit schrecken beobachten.
Im Great Bear Rainforest schaffen es die Ureinwohner die Regierung einigermaßen in Zaun zu halten, doch Vancouver Island ist ihnen nahezu schutzlos ausgeliefert. Dort werden sogar sogenannte „old-growth“ Wälder abgeholzt, also Wälder, die niemals zuvor abgeholzt wurden. Diese beherbergen Zedern die über 1.000 Jahre alt sind.
Durch diesen massiven Eingriff in das Ökosystem und den Lebensraum vieler Tiere, nicht nur an Land, entstehen große unumkehrbare Schäden. Oft wird zu nah am Flussufer abgeholzt, was zur Folge hat, dass viel Sediment in die Flüsse gespült wird, was den Lachsen bei ihrer Wanderung im Herbst Probleme bereitet.
BILD OBEN: Auf welchem Planeten würden Sie gerne leben? Auf dem linken, wo das Ökosystem intakt ist, oder auf dem rechten, wo es zerstört ist? | © Niklas Weber
Die Auswirkungen der Fischereiindustrie
Zusätzlich musste ich sehen, wie Fischfarmen die Ozeane und die dort lebenden Tiere angreifen. Doch was sind denn Fischfarmen überhaupt?
Fischfarmen, oder auch Aquakulturen genannt, sind ein Zusammenschluss riesiger Netzbehälter die in Küstenregionen verankert werden. Im Great Bear Rainforest an der Westküste Kanadas, aber auch in Norwegen, Chile und weiteren Teile dieser Erde werden sie genutzt, um Lachse direkt im Ozean zu züchten und diese später an die Lebensmittelindustrie zu verkaufen. Klingt erstmal nicht schlecht oder? Somit müssen zumindest keine Wildlachse mit extrem viel Beifang gefangen werden und die Wildlachspopulationen können sich erholen, oder?
Leider wäre das zu schön um wahr zu sein. Es stimmt, durch Lachsfarmen müssen weniger Wildlachse gefangen werden, aber, und das ist das Problem, durch die Fischfarmen werden die Wildlachse, sowie das komplette Ökosystem angegriffen. In einem dieser Netze leben bis zu 90.000 Lachse. Eine der Fischfarmen denen ich begegnete, hatte 14 Netze wovon schon 4 "abgeerntet" waren. Das heißt hier lebten rund 1.200.000 Lachse bevor ein Teil "abgeerntet" wurde.
BILD OBEN: Eine Lachs Fischfarm im Great Bear Rainforest. Im Hintergrund kann man eine weitere dieser Fischfarmen erkennen. | © Niklas Weber
Die Netze haben einen Durchmesser von rund 30 Metern. Trotzdem leben diese tausenden Lachse auf super engem Raum, wodurch sich Krankheiten und Parasiten wie Seeläuse und der Piscine Reovirus sehr schnell ausbreiten. Als Folge werden die heimischen Wildlachse auf ihrem Weg aus dem Ozean zu den Flüssen infiziert, sowie im Frühjahr die jungen Lachse, wenn sie sich auf ihre große Reise von den Flüssen ihrer Herkunft in den Ozean aufmachen. Um dem entgegenzuwirken werden sehr viel Pestizide und Antibiotika verwendet, aber wir reden ja von offenen Netzen in einem Ozean mit teils sehr starken Strömungen. Die Pestizide und Antibiotika bleiben also nicht lange in den Netzen, sondern werden direkt in den Ozean getragen und greifen das Ökosystem massiv an.
Außerdem werden die Fische extrem gefüttert, um so schnell wie möglich "geerntet" werden zu können. Doch auch das Futter gelangt natürlich schnell in den Ozean, teilweise direkt, weil die Lachse es nicht so schnell fressen können, aber auch indirekt durch ihren Kot. So oder so richtet es extremen Schaden an, da die Nährstoffe nicht so schnell vom Ozean verwertet werden können.
BILD LINKS: Ketalachse und Buckellachse schwimmen einen Fluss hoch um dort ab zu laichen. | © Niklas Weber
BILD RECHTS: Gemäßigter Regenwald der von einem Fluss durchzogen wird auf einer abgelegenen Insel mitten im Great Bear Rainforest. | © Niklas Weber
Zusätzlich werden die Lachse mit Heringen gefüttert. Heringe sind kleine Fische die im Frühjahr hier an der Westküste Kanadas zusammenkommen um dort an der Küste ab zu laichen. Während dieses Spektakels fangen kommerzielle Fischfangunternehmen tausende Tonnen (2019 20.000 Tonnen, 2020 9.240 Tonnen; immer 20 % des geschätzten Bestandes) von diesen Heringen, um sie unter anderem zu Futter für Fischfarmen weiter zu verarbeiten. Gleichzeitig haben die Wildlachse weniger Nahrung die ihnen zur Verfügung steht, sowie die Bären, Wölfe und Vögel die sich nach einem harten Winter von den Eiern ernähren. Das Ende vom Lied ist, dass bereits 4 der 5 Heringspopulationen Geschichte sind.
BILD OBEN: Eine Schule Transient-Schwertwale jagen Steller Seelöwen bei Vancouver Island. | © Niklas Weber
Zu allem Überfluss werden an der Westküste Kanadas, im Pazifik, welcher über 5 Lachsarten beheimatet, atlantische Lachse, also Lachse von einem anderen Ozean gezüchtet, da diese schneller wachsen. Nicht nur, dass dadurch Krankheiten aus dem Atlantik in den Pazifik gelangen, diese Netze sind auch nicht unzerstörbar.
Möwen, Seelöwen und Orcas sind nur ein Teil der Tierarten, die diese Lachse gerne fressen würden. Immer wieder passiert es, dass tausende Lachse in den Ozean entkommen wie im August 2017, als 263.000 Lachse in der Nähe von San Juan Islands entkamen. Man kann sich gar nicht vorstellen was die Folgen wären, wenn diese Lachse die Flüsse hochschwimmen und dort abbleichen würden.
BILD OBEN: Tausende Anemonen und Schwämme überziehen die Felsen Unterwasser. Im Hintergrund ist ein Seetang Wald zu sehen. | © Niklas Weber
Ich selbst musste 2019 leider über 16 Flüsse entdecken, in denen ich kaum oder keine Lachse gefunden habe. Nur in vier Stück fand ich eine gesündere Population von Buckellachsen und ein paar Ketalachse. Nicht auszumalen wie es für die Bären, Wölfe, Seeadler, Möwen, südlichen ortstreuen Schwertwale, Seehunde, Steller Seelöwen und die vielen weiteren Tiere ist, die nicht gerade ein Motorboot besitzen um so viele Flüsse nach Lachsen abzusuchen bevor der harte Winter kommt. Geschweige denn, wenn sie zusätzlich ihre Jungtiere ernähren müssen. Sogar der gemäßigte Regenwald ist von den Lachsen abhängig. Die Lachse werden unter anderem von den Bären gefressen und über ihre Ausscheidungen wird der Wald anschließend mit Nährstoffen versorgt.
Sie sehen also, es steht nicht gut um eines der letzten wahren wilden Gebiete dieser Erde.
Doch die Ureinwohner und Naturschützer, wie beispielsweise Ian McAllister tun alles dafür, um dieses Gebiet und die dort lebenden Tiere zu beschützen. Grizzlybären dürfen zum Beispiel nicht mehr als Trophäen gejagt werden. Wölfe und Schwarzbären allerdings schon. Die Regierung Britisch Kolumbiens alleine tötete in den letzten 6 Jahren 1.250 Wölfe, da sie diese verantwortlich machen für die sinkenden Bergkaribubestände. Nicht etwa die industrielle Abholzung der Wälder, das Bauen von Pipelines und Minen sowie das Zerstören ihres Lebensraumes für Freizeitaktivitäten.
BILD OBEN: Großflächige abgeholzte gemäßigte Regenwälder. | © Niklas Weber
Doch was tut man, wenn man all diese Zerstörung erfährt und vor Ort sehen muss?
Ich beschloss zukünftig auf Fisch, aber auch auf alle anderen tierischen Produkte zu verzichten. Unser Konsum hat enorme Einflüsse auf die Welt, in der wir leben. Vor unserer Haustüre, aber durch die Globalisierung auch in Kanada und unzähligen weiteren Gebieten dieser Erde.
Außerdem versuche ich Wölfen eine Stimme zu geben. Die Wölfe in Kanada kann ich leider nicht retten, aber zumindest kann ich versuchen, den Menschen unsere Grauwölfe in Deutschland näher zu bringen, durch meine einzigartigen Begegnungen, die mir die Tiere geschenkt haben, in Kanada sowie in Deutschland.
Oft ist es unangenehm über Themen zu sprechen die schwierig sind, doch deshalb sollte man noch lange nicht aufhören darüber zu sprechen. Aufklärung ist der Schlüssel zum Erfolg, davon bin ich überzeugt. Meine Kameras fangen für mich die nötigen Geschichten mit einzigartigen Blickwinkeln dafür ein und erzählen diese ein Stück weit ohne zusätzlichen Text. Durch die Bilder und Videos werden Geschichten erst greifbar, für Menschen auf der ganzen Erde.
Und nur gemeinsam schaffen wir es, diesen unglaublichen Planeten zu erhalten, für uns, unsere Kinder und Enkelkinder.
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GESCHRIEBEN VON
Niklas Weber
Niklas Weber ist preisgekrönter Wildtier- Kameramann und Naturfotograf, Storyteller und Naturschützer. Er hat unter anderem für NatGeo Wild und Off the Fence Productions gearbeitet. Mit einzigartigen Wildtier-Geschichten und Perspektiven versucht Niklas, die Verbindung zwischen Mensch und Natur zu stärken.
Sitz in Deutschland | www.photoniklas.de
EDITIERT VON
Lana Tannir
Lana Tannir ist die Gründerin und Redakteurin von Creatives for Conservation. Als professionelle Landschafts- und Wildlife-Fotografin und Filmemacherin hat sie sich auf Natur- und Tierschutzprojekte spezialisiert. Mit ihren Geschichten möchte sie den globalen Wandel fördern, indem sie das Bewusstsein schärft, die Bildung vorantreibt und die Menschen zum Handeln inspiriert.
Sitz in Deutschland | www.lana-tannir.com
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